Oberleutnant Mayr Josef

 

Einj.-Freiw. Josef Mayr ( bis Olt.d.R.), Sohn des Josef Mayr von Seewalchen, war als Zugführer des k.u.k. Inf.-Reg. Nr. 59, mit 25 Rainern sechs Tage lang im Kampfe gegen die Italiener und schreibt hierüber:

Aus dem Tagebuch eines Einjährig-Freiwilligen

Reinschrift durch Stefanie Lang

 

Brave „59“

Am 12. Juni (1915) erhielten wir den Befehl, die Porzespitze (2600m) zu ersteigen und von dort gegen die Italiener ein wirksames Feuer von der Flanke aus zu richten und den Berg möglichst lange zu halten. Ungläubig blickte der Bergführer unsern Herrn Hauptmann an, als der Befehl erteilt war, den der Berg mit seiner himmelanstrebenden Wand war von der österreichischen Seite nie erstiegen worden. „Es ist nicht möglich“, bemerkte der Bergführer, „ich kenne den Berg gut“. „Ach was, für uns Rainer ist alles möglich“, war die Antwort. Und so zog die Abteilung von 25 Mann, geführt vom Bergführer, gegen das Tilliacher Joch, das wir auch bald erreichten. Dort begann nun die Bergwanderung, die mir unvergesslich bleiben wird. Schwer bepackt mit Tornister, Decken, Zeltblatt, Brotsack, Gewehr und 200 Patronen, begann der Aufstieg. Nach fünfstündigem Marsche, nachdem wir uns öfter verstiegen hatten, gelangten wir auf die Spitze: Der Berg führte an Lawinen, die unheildrohend niedersahen, vorbei, über Steinfelsen und Geröll, das jeden Tritt unsicher machte, an der Wand empor. Dabei umpfiffen uns die Kugeln der italienischen Alpenjäger, die unser kühnes Vorhaben bereits bemerkt hatten und es vereiteln wollten. Gar manche Kugel traf das Gestein neben mir und spritzte mir Splitter ins Gesicht, doch kam ich glücklich heraus.

 

Todmüde, doch voll Kampfesbegier kamen wir oben an und das Gefecht begann sofort. Kadett Koch zog mit einigen Mann gegen Westen, während ich mit der übrigen Mannschaft sofort das Feuer eröffnen lies. Bald hatten wir den versteckten Feind gefunden und nun knallte Salve auf Salve gegen ihn. Die Italiener erwiderten lebhaft das Feuer. Durch die da oben äußerst muntere Schießerei wurde die italienische Batterie aufmerksam und bald darauf sandte sie uns ihre ehernen Grüße. Granate und Schrapnell sausten über unsere Köpfe und zwar so nahe, dass wir uns niederlegen und auf den Bauch weiter vorkriechen mussten. Ein Steinregen prasselte von den getroffenen Wänden auf unsere Rücken, so dass unsere Lage höchst ungemütlich wurde. Dabei verbreiteten die explodierenden Treffer einen erstickenden Gestank. Doch uns genierte dies alles nichts. Wie wenn’s nur eine Unterhaltung wäre, bei der man nichts riskiert, rutschten meine Leute und ich vor bis zum Rande und ließen unsere Mannlicherbohnen in die Reihen der Katzelmacher einfliegen, so dass mancher „Bundesgenosse“ das Aufstehen für immer vergaß.

 

Plötzlich bemerkte ich hinter unserem Rücken 2 Züge Alpenjäger, die sich heranschleichen wollten, um die verdammten „Austriacci“ zu fangen oder zu vernichten. Holla! Jetzt wird die Sache verdammt kritisch, doch ein Rainerherz verzagt auch in höchster Not und Gefahr nicht. Feuer einstellen! Umgekehrt und lautlos dem neuen Gegner entgegen gekrochen, war eins. Wir ließen den Gegner noch näher heran und dann befahl ich „Schnellfeuer“, welches in den Reihen der Feinde mörderisch wütete. Der Gegner war durch unser Feuer derart eingeschüchtert, dass er, trotzdem er noch zwei Züge als Verstärkung erhielt, es nicht wagte, uns 20 Mann mit seinen 300 Mann anzugreifen, sondern sich verschanzte und uns beschoss. Das machte uns aber gar kein Kopfzerbrechen, denn die Katzelmacher schossen jämmerlich schlecht. Dabei unterhielt aber die italienische Artillerie ein ununterbrochenes Feuer auf uns und das Zischen, Heulen und Krachen der Schrapnells und Granaten erfüllte die Luft mit den schönsten Duft. Gegen Mittag ließ das Artilleriefeuer nach und wir stellten Posten auf.

 

Nachmittags erschien zu unserer größten Freude eine kleine Verstärkung. Es war Korporal Weiermann mit 8 Mann, die trotz des Feuers der italienischen Alpini heil und gesund ankamen. Korporal Weiermann hatte die 8 Mann bravourös geführt, indem immer 4 Mann bis zu einer gewissen Stelle kletterten, während die anderen vier einstweilen auf den Feind schossen. Wenn die ersten vier die Stelle erreicht hatten, begrüßten sie die Alpini mit blauen Bohnen und die anderen vier kletterten nach. Dabei halfen wir auch ein wenig mit. Wenn nämlich ein Italiener gar zu neugierig der Kletterei der Österreicher zusah und dabei den Schädel zu weit vorstreckte, so richtete ich sogleich ein Stutzen auf den eifrigen Zuschauer und ein kurzer „Schnalzer“ und mit dem „Neugierigsein“ war es für alle Zeit vorbei. Nun waren wir eingeschossen und für Tage und Nächte hielten wir unentwegt aus. Schlaf und Müdigkeit kam wohl heran, aber es galt wachsam zu bleiben gegen den lauernden Feind. Trotz der Schießerei hatten wir nur zwei Leichtverwundete.

 

Am 13. wurden wir von einem furchtbaren Granatenfeuer begrüßt. Die Splitter trafen unsere Gewehre, Mäntel und Decken, doch wurde wunderbarerweise niemand verletzt. Unsere Leute hielten aus, trotz Hunger, Kälte und Todmüdigkeit und bliesen manchem Feinde das Lichtlein aus. Von unserer Spitze hatten wir herrliche Aussicht. Wir sahen genau die Stärke des Feindes, die einzelnen Standorte der Bataillons und Kompagnien am Can di Utelino und am Fuße des Colle Spina. Wir sahen die italienischen Feldküchen dampfen, ein Anblick, der uns erst recht hungrig machte, denn die Lebensmittel gingen trotz der größten Sparsamkeit dem Ende entgegen. Der Hunger kam und der Magen knurrte. Für den Durst war Schnee da, aber der Hunger war ärger. Da erschien eine Patrouille von 3 tollkühnen „59ern“ mit 1000 Patronen und etwas Rindfleisch. Wie froh waren wir jetzt! Wir sahen ja die Munitionstragtiere des Feindes, wie sie ab- und zuwanderten, was uns noch wehmütiger stimmte, denn auch die Patronen wurden rar.

 

Am 14. Juni kletterte eine feindliche Kompagnie im Staffel am Südhange des Roßkars, um gegen uns vorzugehen. Wir beschossen sie sofort und die getroffenen kugelten talwärts. 5 Alpini ließen wir bis auf 300 Schritte herzu, eine Salve von uns krachte und alle fünf sausten in einem wirren Knäuel in die Tiefe. Wieder kamen 15 Alpini auf 100 Schritt heran. Zugsführer Mayr warf sich mit ein paar Mann ihnen entgegen und 8 Alpini blieben tot liegen, die anderen 7 liefen davon.

 

 

Am 15. wurden wir wieder lebhaft beschossen und sahen eine feindliche Kompagnie dem Tilliacherjoche zumarschieren. Wir schossen Salvenfeuer und unsere Feldwache am Joch wurde dadurch aufmerksam. Die Kompagnie wurde zersprengt und flutete zurück. In der Nacht erwarteten wir ein Generalsturm auf uns. Kälte und Hunger waren schier unerträglich geworden.

 

Am 16. Juni sahen wir, wie die Italiener rings um uns Schützengraben bauten. Wir schossen nicht, da wir nur mehr 80 Patronen für jeden Mann hatten, die wir uns auf den Sturm sparen wollten, um die Porzespitze und unsere  Leben möglichst teuer zu verkaufen. Eine von uns durch Signale erbetene Verstärkung rückte zwar bis zum Fuße des Berges, konnte aber unmöglich durch. Unsere Freude war vergeblich gewesen. Die Alpini beschossen die Ablösung so fürchterlich, dass sie Verwundete und Tote alsbald erhielt und umkehrte. Jetzt ergriff uns wohl ein Gefühl der Hilflosigkeit, doch schnell gefasst unter gegenseitigem Zureden und Aufmuntern bezogen wir unsere Posten.

 

Am 17. war der 6. Tag gekommen und damit auch das Ende unserer Kräfte. Zugsführer Mayr hatte nach langem Suchen einen Schluchtenweg ins Tal gefunden und schickte einen Mann, der sich durchschleichen sollte, zum Kommando unserer Kompagnie mit der Meldung unserer gefährlichen Lage und der Bitte um weitere Befehle. Glücklich löste der Mann das gefährliche Wagnis und kam zur Kompagnie. Diese hatte uns schon früher durch Zeichen den Befehl erteilt, einzurücken, aber wir konnten es nicht ausnehmen, was es eigentlich heiße. Noch einmal erblickten wir das Zeichen, als der Mann die Meldung erstattet hatte, „die Fahne zeigte nach abwärts“, d.h. „die Porze nicht mehr halten, einrücken.“ Nun konnten wir mit ruhigem Gewissen von unseren Posten abziehen. Freilich so leicht ging das nicht, denn der Feind beobachtete uns genau. Wir blieben daher ruhig auf unserem Posten und warteten bis ein rettender Nebel einfalle. Die Wachen harrten aus und um 7 Uhr legte sich ein feiner Dunstschleier um die feindliche Stellung. „Jetzt ist Zeit!“ Von Zugsführer Mayr und Korporal Weiermann gesammelt, ging es im Laufschritt der rettenden Felsenhöhle, unserem Notausgange, zu. Kaum waren wir drinnen, als schon die italienischen Geschosse aus den Stellungen, wo wir 6 Tage waren, auf uns herniederprasselten. Sie mussten doch den Braten gespannt haben, dass sie unser Verschwinden so schnell bemerkt hatten. Zum Glück kamen sie uns nicht nach, sondern warteten, bis wir ins Tal absteigen mussten morgen früh. Wir warteten aber nicht, sondern begannen sogleich. Das war ein furchtbarer Weg. An schwindelnden Tiefen und schroffen Hängen ging der Marsch. Zum Glück – muss man fast sagen – war es Nacht, dass man die entsetzlichen Tiefen nicht sah, am Tag hätte sich gar mancher nicht vorbeigetraut. Die Steine kollerten nach und es ist ein Wunder, dass niemand erschlagen wurde. Als der Morgen kam standen wir am Fuß des Berges, auf dem wir getreu dem Befehl ausgehalten hatten, bis uns ein neuer Befehl das Einrücken zur Pflicht machte. 20 Mann waren wir, als wir todesmüde zur Feldwache kamen. Während des Abstieges hatten wir alles vergessen, Hunger, Kälte, Durst, so gespannt waren unsere Nerven, jetzt aber ließen sie uns aus und bleich mit entzündeten Augen, meldeten wir uns bei der Feldwache.

 

Der kommandierende Offizier, Herr Landesschützen-Oberleutnant Lerl, bewirtete uns gastlich, so dass wir nach 3 stündiger Rast neugestärkt zur Kompagnie einrücken konnten. Heller Jubel erscholl, als die Totgeglaubten erschienen. Unser Herr Hauptmann war glückselig über seine braven „59er“. Später kamen noch drei Mann nach. Einen hatten die Alpenjäger noch angeschossen. Wir hatten insgesamt zwei Tote, zwei Verwundete und einen Vermissten. Der Feind hatte 150 Mann verloren, die wir ihm weggeschossen haben. Also ein schönes Ergebnis. Wenn uns nicht der Hunger gezwungen hätte, am letzten Tag waren Kerzen und Gras unsere Nahrung, hätte der übermächtige Gegner uns nie vertrieben. So aber mussten wir abziehen, nicht geschlagen, sondern im Bewusstsein treuerfüllter Pflicht gegen Kaiser und Vaterland

Zugsführer Mayr wurde zum Kadetten befördert und bekam die Silberne Tapferkeitsmedaille.

 

Es handelt sich hierbei um den selben Einsatz, der bei Ortner beschrieben ist. An dieser Stelle sind auch die Zeichnungen zur Veranschaulichung zu finden. Weiters ist May(e)r kurz in seinem Tagebuch beschrieben.

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